Gedanken einer „Lifestyle-Linken“

Sahra Wagenknecht hat mich in letzter Zeit medial stark verfolgt – eine eigene Doku in der ARD-Mediathek, ein Interview in Gabor Steingarts Morning Briefing und ein Einzelgespräch bei Sandra Maischberger im Podcast und in der Sendung. Es ergibt schon Sinn, dass sie gerade überall ist, denn sie hat vor kurzem ihr neues Buch, „die Selbstgerechten“, veröffentlicht – ich habe es noch nicht gelesen, bin mit den Kernaussagen aber mittlerweile sehr vertraut, würde ich sagen. Und irgendwie hatte ich das Bedürfnis, was dazu zu schreiben – vielleicht, weil ich mich von ihrer Beschreibung der „Lifestylelinken“ angesprochen gefühlt habe. Ich finde sie als Person interessant und empfinde es auch erstmal als sehr wichtig, dass es solche Politiker*innen gibt, die hinterfragen und Standpunkte vertreten, selbst, wenn sie dabei in der eigenen Partei anecken. Sie setzt spannende Impulse und regt mich zum Nachdenken, aber teilweise auch zum Wiedersprechen an.

Sahra Wagenknecht spricht immer wieder davon, dass „die Selbstgerechten“, wie sie sie in ihrem Buch nennt, „Privilegien für Tugenden halten“. Das ist eine Formulierung, die mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht. Natürlich trifft sie damit einen Punkt: Für mich als von Mami und Papi finanziell unterstütze Privatstudentin ist es einfach, Bio-Obst zu essen, Fair Fashion zu kaufen und Unmengen an Geld auszugeben, um umweltfreundlich mit dem Zug zwischen Luxemburg und Köln hin und her zu fahren. Auch meine gut isolierte Wohnung, die sich in einer Großstadt befindet, hilft mir dabei, meinen ökologischen Fußabdruck gering zu halten. Und damit bin ich kein Einzelfall: Tendenziell sind sowohl die Aktivist*innen von Fridays for Future als auch die Wähler*innen der Grünen eher wohlhabend. Soweit stimme ich Sahra Wagenknecht zu: Umweltschutz muss man sich leisten können.

Wobei das wahrscheinlich sogar das größte Problem an der Sache mit dem Klimaschutz ist. Wieso ist ein ökologisches Leben teurer und umständlicher als eines mit dem man unsere Lebensgrundlage zerstört? Genau da müsste die Politik doch ansetzen und die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich nicht nur „die Privilegierten“ für umweltfreundliche Alternativen entscheiden können.

Aber zurück zu Wagenknecht. Was sie den sogenannten „Lifestyle-Linken“ vorwirft, ist in erster Linie ja nicht, dass sie privilegiert sind, sondern, dass sie diese Privilegien für Tugenden zu halten und mit erhobenem Zeigefinger auf diejenigen zeigen, die sich Umweltschutz nicht leisten können. Und das ist meiner Meinung nach ein Klischee. Ja, es gibt sie – die Veganer*innen in sozialen Online-Netzwerken, die das Bedürfnis haben, unter die Essensfotos von Fleischesser*innen zu schreiben, dass sie Schuld am Untergang dieses Planeten sind. Aber das sind doch Einzelfälle. Der Großteil der Menschen, die sich für Umweltschutz einsetzen, fängt erstmal bei sich an, setzt auf Information statt Vorwürfe und stellt Forderungen an die Politik, nicht an Individuen. So zumindest mein Empfinden. Luisa Neubauer würde sich die Diskutiererei mit Politiker*innen doch nicht antun, wenn es ihr in erster Linie darum gehen würde, Individuen für ihr Konsumverhalten anzuprangern und zu einer Veränderung zu zwingen. Dann würde sie nicht bei Anne Will sitzen, sondern die Facebook-Fotos von Fleischessenden kommentieren. Die Vertreter*innen von Fridays for Future wiederholen unermüdlich, dass man ein strukturelles Problem nur durch Veränderungen der Strukturen lösen kann. Sie gehen auf die Straße, weil sie Forderungen an die Politik und die Wirtschaft stellen – nicht, weil sie möchten, dass Oma Hilde nicht mehr mit dem Auto zum Lidl fährt. Auch die Grünen fokussieren sich längst nicht mehr auf individuelles Verhalten, sondern möchten die Art und Weise wie produziert wird verändern – das hat Annalena Baerbock in ihrem ersten Interview als Kanzlerkandidatin bei ProSieben meines Erachtens sehr deutlich gemacht.

Ich verstehe, was Sahra Wagenknecht meint, wenn sie von „Lifestyle-Linken“ spricht. Die konkreten Vorwürfe beruhen meiner Meinung nach aber eher auf einem Gefühl als auf Fakten. Dadurch, dass Klimaschutz sowie der damit verbundene politische und gesellschaftliche Aktivismus heutzutage stark in sozialen Medien wie Instagram ausgetragen wird, bekommt das Ganze einen „Lifestylecharakter“. Einerseits ist das gut, weil „öko“ cool werden MUSS, wenn wir die Pariser Klimaziele einhalten möchten, andererseits aber auch schade, weil die politischen Forderungen dahinter offenbar nicht genug gesehen werden.

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