Warum reden wir nicht darüber, wen wir wählen?

Ich habe vor Kurzem meine Masterarbeit zum Thema „die Klimakrise als Gegenstand politischer Kommunikation in sozialen Online-Netzwerken“ geschrieben. Am Ende habe ich mich, wie man das halt so macht, kritisch mit meiner methodischen Vorgehensweise auseinandergesetzt. Im Rahmen des Kapitels „kritische Würdigung“ habe ich genau beschrieben wo die Grenzen der Objektivität und Wissenschaftlichkeit meiner Arbeit liegen. Dabei habe ich lange hin und her überlegt, ob und wie ich thematisieren sollte, dass nicht zu 100% ausgeschlossen werden kann, dass meine persönliche politische Haltung die Ergebnisse und deren Einordnung und Interpretation unbewusst geprägt hat. Hierzu habe ich mir verschiedene andere wissenschaftliche Arbeiten zu politischen Themen angeschaut, war jedoch mit den Lösungen meiner Vorgänger*innen nicht zufrieden. Ich fragte mich, warum man nicht einfach seine Position offen legt. Die Antwort darauf kam mir recht schnell: Weil man nicht darüber redet, wen man wählt. Genauso wie man nicht darüber redet, wie viel man verdient. Warum auch immer.

Letztendlich habe ich mich dafür entschieden, meine Haltung zu den politischen Akteur*innen, deren Kommunikationsinhalte ich im Rahmen meiner Arbeit untersucht habe, transparent darzulegen – auch, wenn es mir nicht die übliche Vorgehensweise zu sein schien. So beendete ich das oben genannte Kapitel mit dem Folgenden Abschnitt:

„Was darüber hinaus im Kontext der kritischen Würdigung thematisiert werden soll, ist, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Ergebnisse unbewusst durch die politische Haltung der Verfasserin der Arbeit beeinflusst wurden. Die Gütekriterien der methodischen Vor- gehensweise wurden gesichert und alle Aussagen wurden mit Daten belegt. Nichtsdestotrotz gibt es keine Objektivität und jede Entscheidung – sei es nur das Weglassen bestimmter Teilaspekte, weil sie nicht als relevant beachtet werden – können unabsichtlich durch die subjektive Meinung der Verfasserin beeinflusst sein. Deshalb wäre es bei einem solchen Thema sinnvoll gewesen, mehrere Forscher*innen mit unterschiedlichen politischen Hintergründen an der Analyse teilhaben oder diese zumindest überprüfen zu lassen. Dies war unter den Um- ständen, in denen die vorliegende Arbeit erstellt wurde, nicht möglich. Aus Gründen der Transparenz wird deshalb an dieser Stelle erwähnt, dass die Verfasserin sich einem eher linken politischen Spektrum zuordnet, bei der Bundestagswahl 2021 nicht wahlberechtigt war, aber mit den Positionen von Bündnis 90/die Grünen grundsätzlich am meisten übereinstimmt.“

Ich weiß nicht, wie das bei meinen Betreuer*innen angekommen ist, aber für mich fühlte es sich richtig an, diese Anmerkung hinzuzufügen. Leser*innen können mit diesem Hintergrundwissen, meiner Meinung nach, wissenschaftliche Mängel besser erkennen, indem sie beispielsweise meine Bewertung der Kommunikationsstrategie von Annalena Baerbock genauer unter die Lupe nehmen. Auf der anderen Seite motivierte mich das Bewusstsein dafür, dass andere meine persönliche Meinung kennen, dazu, besonders darauf zu achten, diese nicht einfließen zu lassen. Im Endeffekt denke ich, dass diese Info der Qualität der Arbeit nicht geschadet hat – im Gegenteil.

Und was für die Wissenschaft gilt, gilt auch für andere Bereiche. Wieso sagen Menschen, die öffentlich über Politik sprechen, nicht, wen sie wählen. So könnte man Ihre Aussagen wesentlich besser einordnen. Denn im Endeffekt hat (fast) jeder eine politische Haltung und diese zu verheimlichen, macht uns nicht objektiver oder weniger beeinflussend oder was auch immer wir uns davon erhoffen. Außerdem könnte man viel offener über solche Themen diskutieren, wenn man Wahlentscheidungen ansprechen und dann eben auch begründen würde. Davon würde jeder am Ende nur profitieren. Genauso wie jeder davon profitieren würde, wenn man über Geld reden würde. Im Rahmen meiner Jobsuche habe ich gemerkt, wie schwierig es ist, Gehaltsverhandlungen zu führen, wenn man keine Ahnung hat, was die Menschen um einen herum so verdienen. Diese beiden Beispiele haben mich dazu bewogen, diesen Beitrag für ein kleines Plädoyer zu mehr Offenheit zu nutzen. Schreibt mir eure Meinung dazu gerne in die Kommentare.

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