Ist euch die Kampagne der Lobbyorganisation „Initiative Neue Soziale Markwirtschaft“ (INSM) Ende letzter Woche aufgefallen? Denjenigen, die sich im Internet mit politischen Inhalten auseinandersetzen und in einer eher links-grünen Bubble befinden, wahrscheinlich schon. Als jemand, die sich seit 4 Jahren Vollzeit mit Medien beschäftigt, die gerade in dieser Zeit des Bundestagswahlkampfs großes Interesse an politischer Kommunikation gefunden hat und ja, zugegebenermaßen auch als Baerbock-Fan, kann ich diese Kampagne nicht unkommentiert stehen lassen.
Aber nochmal vom Anfang: Die INSM ist eine Lobbyorganisation, die von Industrieverbänden finanziert ist und damit die Interessen von Volkswagen, Daimler, BMW, Siemens AG, Bosch, Audi und vielen weiteren Unternehmen vertritt. Vielen weiteren Unternehmen, die ganz offensichtlich fürchterliche Angst vor einer grünen Kanzlerin haben. Die INSM hat Ende letzter Woche Werbeanzeigen in diversen Nachrichtenportalen und Printmedien platziert. Diese zeigen die grüne Kanzlerkandidatin, Annalena Baerbock, als eine Art Mose. Daneben – was sonst – Steintafeln mit den legendären grünen Verboten. Übersehen mit den Sätzen „Annalena und die 10 Verbote“ und „warum grüne Verbote uns nicht ins gelobte Land führen.“
Das, was die INSM macht, ist prinzipiell erstmal nicht verwerflich. Lobbyismus ist ein wichtiger Bestandteil von Demokratie. Grundsätzlich geht es um Interessenvertretung, die sinnvoll ist, damit Politiker*innen auch in Bereichen fundierte Entscheidungen treffen können, in denen sie keine persönliche Erfahrung und wenig Einblicke haben. Die Art und Weise wie diese Kampagne allerdings umgesetzt wurde, finde ich extrem geschmacklos – und das nicht nur, weil sie nicht meine politische Haltung widerspiegelt. Ich wäre immer für konstruktive, auch scharfe, Kritik statt Hetze – für den Streit um politische Ideen und gegen die Diffamierung einzelner Personen. Jetzt einmal ganz abgesehen von den Antisemitismusvorwürfen, mit denen die Kampagnenbetreiber*innen konfrontiert wurden – diesbezüglich fühle ich mich nicht in der Lage ein Urteil zu fällen. Was mich an der Kampagne am meisten… nennen wir es mal … „irritiert“ hat, war aber weder die „kreative“ Inszenierung der hoffentlich nächsten Kanzlerin noch die inhaltslosen Slogans. Was mich irritiert hat, war eher, dass die Medien das in der Form mitgemacht haben.
Als ich die Screenshots, wie sie auch in Rezos Tweet enthalten sind, zum ersten Mal gesehen habe, habe ich es gar nicht verstanden. Ich dachte, das wäre gephotoshoped. Als ich dann auf die Website der entsprechenden Zeitungen gegangen bin, konnte ich meinen Augen kaum Trauen und in meinem Kopf fing es an zu rattern: Ich kramte nach allem, was ich in meinem Studium zu Medienethik gelernt hatte, wurde aber nicht so richtig fündig. Politische Werbung mit einer unmissverständlichen Empfehlung, wen man auf keinen Fall wählen sollte, direkt neben dem, was ich als Qualitätsjournalismus bezeichnen würde (die Bild mal außenvorgelassen) – Es wirkte so falsch.
Ja, die Anzeigenabteilung und die Redaktion sind zwei voneinander getrennte Bereiche in einem Medienhaus. Aber wissen das die Ottonormal-Leser*innen? Wissen sie, dass das nicht die FAZ, die SZ oder irgendeine andere Zeitung ist, die sie da vor den grünen Verboten warnt. Wissen sie, dass die INSM dahinter steckt, wessen Interessen sie vertritt und warum? Ich glaube auch gar nicht, dass diese Journalist*innen sich von der INSM insofern beeinflussen lassen insofern, dass sie nicht mehr über kritisch über die entsprechenden Unternehmen berichten, aus Angst den Anzeigenkunden zu verlieren. Ich möchte den Journalist*innen gar nicht ihre Unabhängigkeit und Neutralität absprechen. Was ich an der Sache kritisch finde, ist, dass diese Medien aufgrund ihrer journalistischen Leistung eine gewisse Anerkennung und Glaubwürdigkeit genießen (lassen wir die Bild mal wieder außenvor). Ob bewusst oder unbewusst, die Rezipient*innen werden diesem Anzeigen eine gewisse Relevanz zuschreiben, alleine deshalb, weil in diesen „Qualitätsmedien“ platziert sind. Das ist am Ende ja auch der Grund, warum die INSM diese Werbeplätze bucht.
Meiner Auffassung nach besteht die Aufgabe von Journalismus einfach nicht darin, Wahlempfehlungen auszusprechen – auch nicht indirekt, indem sie anderen die Plattform dafür bieten. Fakten zusammentragen ja, hart kritisieren ja – Hetze gegen eine bestimmte Partei, finanziert von einer Lobbyorganisation, nein. Dass nicht nur ich das so sehe, zeigt auch die Tatsache, dass der Presserat aktuell ein Verfahren gegen die Süddeutsche Zeitung prüft. Diesbezüglich berichtet das Medienmagazin DWDL Folgendes:
„Laut Presserat werfe „das direkte Aufeinandertreffen von Anzeige und Artikel in der Online-Ausgabe“ die Frage auf, ob Ziffer 7 des Pressekodex berührt sei, ob also auf eine „klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken“ geachtet worden ist. Auch die Frage, ob die Anzeige ausreichend gekennzeichnet und klar als solche erkennbar war, wird von dem Gremium geprüft. Dass aktuell nur die „Süddeutsche Zeitung“ ein entsprechendes Verfahren befürchten muss, überrascht, immerhin war die Anzeige auch bei „Bild“, „FAZ“, „Zeit Online“ und „Tagesspiegel“ zu sehen.“
Ich bin gespannt, wie da das Urteil lauten wird. Ich kann zwar mir vorstellen, dass diese Medien wissen, was sie tun und sie den Pressekodex damit nicht verletzt haben, sondern sich nur in einer Grauzone bewegen – dann frage ich mich jedoch, ob diese Kampagne nicht ein Anlass dafür sein sollte, zu hinterfragen, ob man sich als Qualitätsmedien nicht vielleicht höhere ethische Standards setzen möchte oder sollte.
Soll wirklich jede – auch politische – Werbung in journalistischen Medien platziert werden dürfen? Was macht das mit der Glaubwürdigkeit von Journalismus? Wirken sich solche Kampagnen ohne inhaltliche Qualität auf Wahlentscheidungen aus? … Hier stellen sich für mich ganz viele Fragen, auf die ich heute keine abschließende Antwort habe. Aber eure Meinung würde mich interessieren – schreibt mir eure Gedanken zur INSM-Kampagne gerne in die Kommentare. 🙂
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