„Ich persönlich fühle mich nicht ausgeschlossen oder diskriminiert, wenn ich als ‚Bürger‘, ‚Luxemburger‘ oder ‚Student‘ betitelt oder angesprochen werde“ und „teilweise empfinde ich das Gendern sogar als störend – sowohl als Zuhörerin als auch als Sprecherin oder Autorin“, schrieb ich in meinem Blogbeitrag zum Weltfrauentag 2018. Obwohl ich nach wie vor hinter der Kernaussage dieses Beitrags stehe, möchte das Thema jetzt, zweieinhalb Jahre später nochmal aufgreifen, denn meine Meinung zum Gendern hat sich grundlegend verändert. Mittlerweile mache ich es – oder versuche es zumindest. Ich habe inzwischen ein ganz anderes Bewusstsein für Sprache entwickelt und die Wichtigkeit des Kampfes für Geschlechtergerechtigkeit verinnerlicht. Ich führe regelmäßig Diskussionen zu dem Thema und möchte dem Unverständnis, das dem häufig entgegengebracht wird, heute entgegenwirken, indem ich darauf eingehe, was mich dazu bewegt hat, meine Meinung zu ändern. Wenn du zu den Leuten gehörst, die geschlechtergerechte Sprache für „unnötig“, „ein Luxusproblem“, „zu kompliziert“ oder ähnliches halten, dann versuche, dir die kommenden Abschnitte möglichst unvoreingenommen durchzulesen.
1. Ich möchte mir nicht das Recht rausnehmen, darüber zu urteilen, wovon andere Menschen sich angesprochen, ausgeschlossen oder diskriminiert fühlen.
Selbst wenn es für mich nicht schlimm ist, sprachlich unter „Studenten“, „Luxemburger“ oder „Bürger“ zu fallen und ich mehr oder weniger weiß, dass ich gemeint bin, obwohl die weibliche Form nicht explizit genannt wird … woher nehme ich das recht von mir auf andere zu schließen? Offenheit und Anerkennung der Gefühle anderer war für mich ein wichtiger Schritt, der mich zum Gendern geführt hat.
2. Es bricht mir keinen Zacken aus der Krone, meine Gewohnheiten zu verändern und 2 Sekunden dafür aufzubringen, ein „innen“ an einige Begriffe anzuhängen.
Ja, ich gebe meinem 20-jährigen Ich recht – Gendern kann nervig sein und es kann den Redefluss stören. Ich bin aber mittlerweile der Überzeugung, dass das uns nicht davon abhalten sollte. Wenn wir es jetzt durchziehen, wird es in ein paar Jahren Normalität sein und uns nicht mehr mitten in einem Satz zum Stocken bringen. Ich meine, was ist schlimmer, sich ein paar Jahre anzustrengen und sich geschlechterneutrales Sprechen zur Gewohnheit machen oder sich sein Leben lang von der Sprache und damit der Gesellschaft nicht berücksichtigt und verstanden zu fühlen?
3. Vielleicht funktioniert das mit dem generativen Maskulinum in der Realität gar nicht so, wie es in der Linguistik vorgesehen ist.
„Wir nutzen im Plural die maskuline Form und damit sind dann alle Geschlechter gemeint“ ist aus der Perspektive der Linguistik richtig. ABER denken wir wirklich an alle Geschlechter, wenn wir „Polizisten“, „Ärzte“ oder „Musiker“ hören?

Dieser Ausschnitt aus dem Buch „Sprache und Sein“ von Kübra Gümüsay war das entscheidende Argument, was mich dazu bewegt hat, meine Meinung zum Gendern zu ändern. Ich hab nicht an die Mutter gedacht. Die allermeisten werden nicht an eine Frau denken, wenn sie „einer der diensthabenden Chriurgen“ lesen und das zeigt einfach, dass die Verwendung des generativen Maskulinums nicht der Funktionsweise unseres Gehirns entspricht.
4. Sprache kreiert Wirklichkeit, deshalb sollten Frauen dort stattfinden.
Wie an vorigem Beispiel deutlich wurde, werden Frauen in unserer Sprache häufig nicht mitgedacht und damit finden sie auch in unserer Wirklichkeit weniger statt. Das führt unter anderem zu einem Gender Bias in der Wissenschaft, der schon vielen Frauen das Leben gekostet hat, Diskriminierung im Alltag und einem eingeschränkten Weltbild besonders für heranwachsende Mädchen. Eine Studie aus Schweden hat nämlich gezeigt, dass Grundschulkinder – weiblich wie männlich und divers – viel mehr Jobs für sich persönlich als erreichbar empfinden, wenn hier geschlechtsneutrale Begriffe verwendet werden.
5. Das Gendern alleine wird die Welt nicht verändern, aber es ist ein Anfang.
Das Gendern ist nur ein Puzzleteil im großen Puzzle der Gleichberechtigung, aber ohne dieses Teil wird es kein Ganzes geben und irgendwo muss man anfangen, um später daran anknüpfen zu können. Wir sollten aufhören, political Correctness in der Sprache als Luxusproblem anzusehen. Unsere Sprache beeinflusst unser Denken, unser Denken beeinflusst unser Handeln und unser individuelles Handeln beeinflusst unser gesellschaftliches Zusammenleben. Es ist also niemals „nur Sprache“. Wenn Friedrich Merz von Anne Will nach seiner Meinung zur geschlechtergerechten Sprache gefragt wird und seine Antwort sinngemäß lautet „in China schließen die gerade ein super wichtiges Wirtschaftsabkommen ab und wir reden hier über sowas?!“, dann zeigt er nicht nur, dass er der „King of Whataboutism“ ist, sondern auch, dass er überhaupt nicht verstanden hat, worum es hier geht.
6. Wenn wir warten, bis wir die perfekte Lösung haben, wird sich nie etwas verändern.
„Leserinnen und Leser“, „LeserInnen“, „Leser*innen“, „Leser:innen“, … – ja, die deutsche Sprache macht uns das gendergerechte Sprechen zugegebener Maßen nicht sonderlich leicht. Ich persönlich nutze mittlerweile hauptsächlich das Gendersternchen, weil das – meines Wissens nach – das Inklusivste ist. Das Sternchen im Geschriebenen bzw. die kurze Pause im Gesprochenen schließt nämlich das ganze Spektrum „zwischen“ Mann und Frau ein. Ich bestehe nicht darauf, dass das die perfekte Art und Weise zu Gendern ist. Ich muss mich immer noch daran gewöhnen, diese Pause im Sprechen einzubauen und manchmal bringt es mich auch aus dem Redefluss. Wenn jemand eine innovative Idee hat, wie wir das Problem umgehen und angenehmer Gendern können, gerne her damit! Zu sagen „ich mache es nicht, weil ich keine optimale Methode habe“ ist für mich jedoch keine Option.
Ich erinnere mich noch als ich zum ersten Mal im Real Life jemanden habe gendern hören. Ich war 19, frisch von Luxemburg nach Köln gezogen (& let me tell you, in Luxemburg gendert niemand – nicht mal der der Großherzog in seiner Weihnachtsansprache) und saß in einer meiner ersten Vorlesungen … plötzlich wiederholte mein Dozent einen kompletten Satz, um zu korrigieren, dass er nur die männliche Form genannt hatte. Ich war völlig verwirrt und verwundert, dass echte Menschen im Alltag sowas wirklich tun. Ich hab’s ehrlich gesagt einfach nur belächelt. Tja, und 3 Jahre später sitze ich hier und tippe mir die Finger wund, in der Hoffnung vielleicht auch nur eine einzige Person, die das liest, dazu bewegen zu können, sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Dieser Beitrag ist nicht nur ein Aufruf zum Gendern, sondern auch eine Ermutigung, hin und wieder seine Meinung zu ändern.
Nun würde mich eure Meinung zu dem Thema interessieren: Könnt ihr nachvollziehen, warum ich meine Meinung geändert habe? Gendert ihr oder findet ihr es unnötig?:)
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