Den inneren Workaholic bekämpfen und Pausen zulassen

Ich habe vor wenigen Tagen ein Video von ConsiderCologne auf Youtube gesehen, indem die beiden eine Pause angekündigt haben. Eigentlich würde man denken, es wäre völlig legitim, die Videoproduktion für wenige Wochen einzustellen, um sich auf andere Projekte zu fokussieren – das sahen die VerfasserInnen einiger Kommentare jedoch anders. Diese unter dem Video entfachte Diskussion verdeutlichte so gut, in welcher Gesellschaft wir gerade leben – man muss sich dafür rechtfertigen, wenn man eine Pause braucht, man muss beweisen, dass man viel arbeitet und nur produktive Menschen sind gute Menschen. Das ist ein Problem. Und ich bin Teil dieses Problems. In mir schlummert – wir könnten es auf mein Sternzeichen (Steinbock) schieben – von Grund auf ein kleiner Workaholic und hinzu kommt, dass ich liebe was ich tue, meine Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschmelzen, ich hohe Erwartungen an mich selbst habe und genau weiß, was ich will. All das ist prinzipiell nichts Schlechtes und trotzdem etwas, was man im Auge behalten sollte, da es schnell etwas Schlechtem werden kann …

Vom Workaholic zur bewussten Work-Life-Balance

Wenn ich 2020 eines gelernt habe, dann ist es das Nichtstun. Anfang Februar endete mein Praktikum und damit eine Zeit, in der mein Leben nur aus Arbeit und Schlaf bestand – ich liebte das was ich dort tat, machte jede einzelne Überstunde zu 100% freiwillig und ging jeden Tag glücklich zur Arbeit und genauso glücklich wieder nach Hause und trotzdem war es irgendwo anstrengend.

Dann hatte ich 2 Monate Semesterferien, die vom Lockdown gekrönt wurden. Eine Situation, die mir gar nicht so leicht fiel, denn obwohl ich mir total bewusst war, dass ich eine von den Priviligierten in dieser Ausnahmesituation bin, sorgte diese Machtlosigkeit für innere Unruhe. Ich bin ein Mensch, der immer einen Plan hat und braucht, an dem ich mich Tag für Tag entlang hangele und dabei meine Ziele nicht aus den Augen verliere – und plötzlich gab es da diesen Virus, der alle meine Pläne über einen Haufen schmiss. Ich lernte mit dem „Kontrollverlust“ umzugehen und die gewonnene Freizeit zu genießen. Das war wahrscheinlich das erste Mal nach Jahren, dass ich über mehrere Wochen hinweg keine tägliche To Do Liste hatte, sondern mehr oder weniger in den Tag hineinlebte.

Irgendwann kehrte nach und nach eine neue Normalität ein und Online-Vorlesungen brachten wieder Struktur in meinen Alltag, in den ich aber auch die im Lockdown erlernte Fähigkeit, einfach mal nichts zu tun, mitnahm. Im Juni setzte ich mich an meine Bachelorarbeit und ich kann es immer noch nicht glauben, wie schön und stressfrei diese Zeit war – wenn ich die Arbeit nun in den Händen halte, verstehe ich kaum wie das alles zustande gekommen ist, da ich das gar nicht als so aufwendig und anstrengend im Kopf habe. Ich bin mir sicher, das liegt daran, wie bewusst ich mir den Prozess des Schreibens gestaltet habe – ich habe immer um 18, spätestens um 20 Uhr Feierabend gemacht, habe mir morgens Zeit für Sport genommen, zwischendurch viel meditiert und gekocht und habe Wochenenden eingebaut, in denen der Laptop zugeklappt blieb. Ich habe nicht versucht, wie ich das vor einem Jahr noch getan hätte, jeden Tag so viel wie möglich zu schaffen. Vielmehr habe ich mich an einen groben Plan gehalten und versucht, möglichst intuitiv vorzugehen.

Neben dem Lockdown und meiner Bachelorarbeit gab es einen dritten Aspekt in meinem Leben, der mir dieses Jahr die Wichtigkeit von Pausen aufgezeigt hat. Es gab ein paar Wochen in diesem Jahr, in denen mich Rückenprobleme ziemlich ausgeknocked haben. Früher hätte ich mich darüber aufgeregt, dass meine Gesundheit mich davon abhält produktiv zu sein und hätte trotzdem versucht, meine To Dos wie geplant abzuhaken. Jetzt habe ich mich in diesen Phasen aber einfach darauf konzentriert, das Problem zu beheben, mir selbst etwas Gutes zu tun und alles andere hinten anzustellen. Das kann man ja auch ganz einfach mit der Bedürfnispyramide von Maslow erklären: Ist das Grundbedürfnis eines funktionierenden Körpers nicht gedeckt, spielt der „Luxus“ der Selbstverwirklichung keine Rolle mehr. Und das ist, denk ich, der entscheidende Punkt: Wichtig ist, dass es DIR gut geht. Es gibt Phasen, da ist alles rundherum so perfekt, dass es sich super anfühlt, einfach mal ein paar Tage in ein Projekt zu versinken und nur zu hustlen und andere, in denen genau das dir nicht gut tut. Um zu wissen, ob man eine Pause braucht, sollte man sich also nicht fragen, „Wie viel habe ich noch zu tun?“, sondern „Wie geht es mir gerade mit dem was ich tue?“ – denn langfristig ist eh nur ein gesunder und glücklicher Körper ein produktiver Körper.

Das hilft mir dabei, nicht das Gefühl zu haben, 24/7 365 Tage im Jahr produktiv sein zu müssen …

Planen & Puffer einbauen: So habe ich die Sicherheit, dass ich (solange ich mich an den Plan halte) das Ziel erreiche – selbst wenn etwas Ungeplantes dazwischen kommt. So habe ich nicht ständig das Bedürfnis, wenn eigentlich alles erledigt ist, mich weiter vorzuarbeiten.

Routinen entwickeln und möglichst geregelte Arbeitszeiten einbauen: Ein klassischer Home-Office-Tag dauert bei mir von 6 bis 18 Uhr. Danach wird der Laptop dann auch zugeklappt. Das bedeutet nicht, dass es nicht auch Tage gibt, an denen ich bis 8 Uhr schlafe, nur 5 Stunden produktiv bin oder um 23 Uhr nochmal loslege, weil ich plötzlich total motiviert und kreativ bin – das sind allerdings eher die Ausnahmen.

Getrennte Geräte für Arbeit und Freizeit: Youtube, TV Now und Ähnliches schaue ich nur über den Fernseher, um im Internet Freizeitmäßig zu stöbern nutze ich mein Ipad und alles was mit der Uni, der Arbeit oder dem Blog zu tun hat, findet auf dem Laptop statt. So vermeide ich einerseits, dass ich bei der Arbeit in die Versuchung komme, mich ablenken zu lassen sowie dass ich nach Feierabend über mein Emailpostfach, ein Projektmanagement-Tool oder eine Excel-Tabelle stolpere.

Auszeiten gönnen: Wenn man seinen Pflichten theoretisch von überall aus nachgehen kann, tendiert man dazu, nicht wirklich lange am Stück nicht von der Arbeit eingeholt zu werden – dabei finde ich Auszeiten super wichtig. Das muss nicht unbedingt das klassische Wochenende sein – manchmal finde ich es ganz entspannt, Sonntags auf der Couch To Dos abzuarbeiten, während mit Sicherheit keine neuen reinkommen und mit leerer Liste in die neue Woche zu starten. Es ist im Grunde völlig egal an welchem Wochentag man das tut, aber man sollte hin und wieder mal komplett abschalten. Für mich sind deshalb zum Beispiel regelmäßige lange Wochenende in der Heimat Gold wert – hier kann ich das Nichtstun guten Gewissens genießen.

Verstehen, dass man auch im Zeitalter des Internet, wo eigentlich alles in Echtzeit passiert, nicht alles sofort machen muss: Ich hatte immer das Bedürfnis sofort auf jede Mail und jede Whatsapp Nachricht zu antworten, jeden Brief zu öffnen sobald ich ihn aus dem Briefkasten hole und eine Aufgabe sofort zu erledigen, wenn sie mir spontan einfällt. Mittlerweile kann ich ganz gut priorisieren und erkenne, wann diese sofortige Reaktion überhaupt nicht erforderlich ist – und das ist sie meistens nicht. Wichtig ist, zu schauen, wann es in den Zeitplan passt und sich eine Notiz zu schreiben, damit es nicht im Hinterkopf herumschwirren muss.


Kennt ihr dieses Gefühl, ständig produktiv sein zu wollen? Wie geht ihr damit um?

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