„Dürfen wir noch…?“ |Über Oatly und Cancel Culture

Wer in den vergangenen Wochen in sozialen Netzwerken unterwegs war, wird früher oder später in irgendeiner Form auf die Frage „Dürfen wir noch Oatly trinken?“ gestoßen sein – zumindest, wenn er oder sie sich in der gleichen Nachhaltigkeits- und Ethical-Living-bubble wie ich befindet. Ich habe keine Antwort auf diese Frage, weil ich mir nicht anmaßen möchte, darüber zu urteilen, was richtig und was falsch ist. Trotzdem finde ich die Diskussion interessant und würde gerne meine Gedanken dazu einbringen – gerade im Bezug auf die hier sehr deutlich werdende „Cancel Culture“.

Da der Fokus hier nicht auf dem sogenannten Oatly-Skandal sondern mehr auf der gesellschaftlichen Debatte liegen soll, versuche ich die Hintergrundinformationen möglichst kurz zu halten. Zusammengefasst geht es darum, dass der Milch-Ersatzprodukte-Hersteller Oatly sich Blackstone als Investor ins Boot geholt hat, obwohl diese Investmentgesellschaft nicht mit der Unternehmensphilosophie von Oatly übereinstimmt. Das durch Hafermilch bekannt gewordene Unternehmen, hat sich immer für Klima- und Umweltschutz eingesetzt, während Blackstone an der Rodung des Regenwaldes beteiligt ist – dass da eine gewisse Werte-Diskrepanz herrscht, sollte jedem auffallen. Als diese Beteiligung in Umweltschützerkreisen ans Licht gekommen ist, war die Empörung groß – Oatly war plötzlich in seinem gesamten Handeln unglaubwürdig und es wurde öffentlich zum Boykott ihrer Produkte aufgerufen.

Diese Bewegung, die in den letzten Wochen stattgefunden hat, ist exemplarisch für die Cancel Culture des Social-Media-Zeitalters. Um dieses Phänomen für diejenigen, die den Begriff gerade zum ersten Mal hören zusammenzufassen, nutze ich die Gelegenheit und tue das, was ich in der Uni nicht tun dürfte – ich frage Wikipedia: „Als Cancel Culture wird ein systematischer Boykott von Personen oder Organisationen bezeichnet, denen beleidigende oder diskriminierende Aussagen bzw. Handlungen vorgeworfen werden.“

Grundsätzlich ist Cancel Culture im zwischenmenschlichen Bereich kritisch zu betrachten – so gelangen immer mehr Menschen an den Rand der Gesellschaft und wir lösen keine Probleme, sondern verbannen sie lediglich aus unserem Blickfeld. Mal abgesehen davon ist diese Mentalität auf im Bezug auf Unternehmen fragwürdig. Ich bin generell kein Fan von „Go Big oder Go Home“, sondern vielmehr davon, sich mit Themen auseinander zu setzen, verschiedene Perspektiven einzunehmen und für sich selbst den richtigen Weg zu finden. Ich hab das Gefühl, wir machen uns mit dieser Cancel-Culture-Mentalität alles viel zu einfach. In dem Moment, in dem wir etwas canceln, befreien wir uns gefühlt von der Verpflichtung, uns weiter mit dem Thema auseinanderzusetzen – damit geben wir die Chance, eine konstruktive Debatte zu führen und Lösungen zu finden kampflos auf.

Darüber hinaus gehe ich persönlich davon aus, dass nur ein Bruchteil derjenigen, die an einem durch Social-Media entstandenen Boykott teilnehmen, sich intensiv mit der Problematik auseinandergesetzt haben. Vieles passiert hier eher aus Gruppenzwang bzw. aus dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit, die mit einer solchen Bewegung einhergeht, als aus persönlicher Überzeugung. Allein die so häufig aufgetretene Frage „dürfen wir noch…?“ zeigt, dass Menschen ihr Urteilsvermögen an andere abgeben. Ein Unternehmen zu boykottieren, weil man es nicht mit seinen persönlichen Wertvorstellungen vereinbaren kann, die Produkte zu konsumieren ist die eine Sache – ein Unternehmen zu boykottieren, weil es alle machen die andere. Bei all den Informationen und Meinungen, die in sozialen Medien täglich auf uns herabprasseln sollten wir nicht vergessen, selber zu recherchieren und selber nachzudenken.

Wenn wir zu dem Entschluss kommen, dass es für uns in diesem Zeitpunkt keine Option ist, ein bestimmtes Unternehmen zu unterstützen ist das vollkommen fein. Doch muss dieses Urteil dann endgültig sein? Cancel Culture gibt Menschen und Unternehmen nicht die Chance sich zu verändern, Fehler anzuerkennen und Dinge besser zu machen. Würde ich wollen, dass man anhand dessen, was ich vor 5 Jahren mal gesagt oder getan habe, Urteile über mich trifft?

Um zurück zu Oatly zu kommen… Ich verstehe natürlich, dass man Investments braucht, um als Unternehmen zu wachsen und auch, dass die Chance, in diesen Zeiten einen 100% perfekt passenden Investor zu finden, schwindend gering ist. Genauso verstehe ich aber auch die Kritik. Ich kann da für mich persönlich kein eindeutiges „Go“ oder „No Go“ geben – ich bin weniger Fan der Marke als davor, werde aber nicht komplett auf die Produkte verzichten, weil diese nach wie vor – auf geschmacklicher und ethischer Ebene – gut sind. Mir geht es hier aber in keinster Weise darum, die Brand in Schutz zu nehmen – natürlich läuft da nicht alles wie es soll und vor allem in der Kommunikation hätte man einiges besser machen können. Mir geht es darum zu unterstreichen wie wichtig es ist, sich eine eigene Meinung zu bilden und vor allem auch sich die Freiheit zu geben, sich irgendwo zwischen einem endgültigen „ja“ oder einem endgültigen „nein“ zu positionieren.

Hinterlasst mir eure Meinung gerne in den Kommentare – würde mich echt interessieren 🙂

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