Wie ich zum Nachrichten-Junkie wurde & wie Qualitätsjournalismus massentauglich werden kann

Jahrelang hab ich im Journalismus meine Zukunft gesehen, ohne aber selber regelmäßig welchen zu konsumieren. Klingt Paradox, ist im Endeffekt aber vielleicht nur ein Zeichen dafür, wie ausbaufähig diese Branche ist – ich meine, wenn man nicht mal mehr die erreicht, denen vollkommen bewusst ist, wie wichtig und eigentlich interessant das eigene Produkt ist. Natürlich lag meine Distanz zu qualitativen Nachrichten zum Teil an meiner eigenen Faulheit, meiner Überforderung und dem fehlenden Willen, mich auf Dauer intensiv damit zu beschäftigen – das weiß jeder, der mein „7 Tage Tagesschau“-Experiment verfolgt hat. Man kann die Schuld deshalb nicht auf den Journalismus an sich schieben. Allerdings bin ich mir sicher, dass ich nicht die einzige bin, für die es irgendwie schwierig war, den Zugang zu hochwertigen Nachrichtenformaten zu finden.

Doch im Endeffekt habe ich ihn gefunden und bin ganz froh darüber. Während es vor einem Jahr noch eine Challenge für mich war, eine Woche lang täglich Nachrichten zu schauen, sind diese mittlerweile fester Bestandteil meines Alltags. Nicht, weil ich mich dazu zwinge, sondern weil ich dahingehend einen richtigen Wissensdurst entwickelt habe und den für mich optimalen Weg gefunden habe.

  1. Die Themen waren plötzlich gefühlt näher an mir dran. Fridays for Future, die Urheberrechtsreform und die EU-Wahl haben enorm viel dazu beigetragen, dass ich angefangen habe, die Nachrichten gespannt zu verfolgen. Ich weiß, dass auch davor in der Politik schon ganz viele Themen diskutiert wurden, die mich genauso betreffen – aber die Gefährdung meiner Rente ist beispielsweise momentan ein Thema, das mich einfach weniger bewegt, als die der Meinungsfreiheit.
  2. Ich konnte mich mit den Akteuren identifizieren. Dadurch dass die Themen „jünger“ wurden, traten auch plötzlich ganz andere Akteure auf. Das hat mit Greta begonnen, dann kamen immer mehr junge, engagierte Menschen, wie zum Beispiel Luisa Neubauer, auf die Bildfläche und Rezo hat dem Ganzen die Kirsche auf das Sahnehäubchen gesetzt. Politik war plötzlich nicht mehr Alte-Weiße-Männer-Sache.
  3. Die Politik hat meine Filterbubble erreicht. Während es vor einem Jahr in meinen Internet-Kreisen noch viel um oberflächlichere Themen ging, ist in den vergangenen Monaten dort eine Bewegung entstanden, die mich irgendwie mitgezogen hat. Auf Twitter diskutieren Influencer die aktuelle politische Lage, Politiker erscheinen in Youtubevideos und auf Instagram wird zur Partizipation aufgerufen. In Zeiten, in denen gefühlt unsere ganze Generation sich informiert, äußert und einsetzt, macht es total Spaß die Geschehnisse mitzuverfolgen und sich eine Meinung zu bilden.
  4. Ich habe neue Formate für mich entdeckt. Ich bin mir sicher, wenn es keine Podcasts geben würde, würde es mir wesentlich schwerer fallen, Nachrichten in meinen Alltag zu integrieren – ich bin ein riesen Fan von diesem Nebenbei-Medium. Aktuell höre ich jeden morgen „Steingarts Morning Briefing“ und fühle mich dadurch super informiert und unterhalten.
  5. Ich habe angefangen zu verstehen. Der Einstieg in regelmäßiges Nachrichtenschauen ist so schwer, weil immer irgendwelche Vorkenntnisse vorausgesetzt werden. Wenn man aber erst mal drin ist, die Akteure zuordnen kann, die Prozesse versteht und die Vorgeschichte kennt, wird es erst so wirklich interessant und informativ.

Aus heutiger Sicht kann ich sagen, dass es nicht schlecht gewesen wäre, schon vor Jahren damit anzufangen wirklich regelmäßig Nachrichten zu konsumieren. Zu wissen was passiert, mitreden und seine Stimme nutzen zu können ist es absolut wert, etwas Zeit zu opfern, sich in die Themen einzuarbeiten und die ersten frustrierenden Tage, an denen man nicht alles versteht, zu überstehen. Wissen ist Macht und es ist ein Privileg in einem Land zu leben, in dem wir unbegrenzten Zugang dazu haben.

Diese Einsicht von jedem individuell ist wichtig. Aber auch als Journalist kann man dazu beitragen, seine Produkte massentauglicher zu machen. Man sollte sich teilweise von alten Formaten, Gesichtern und Themen lösen und aufzuhören, Journalismus für alte weiße Männer zu machen. Darüber hinaus sollte man einsehen, dass Komplexität kein Qualitätsmerkmal ist. Ich bin gespannt, wie sich die Branche in Zukunft entwickeln wird – wie sie mit neuen Kanälen, Formaten, Akteuren und Themen umgehen wird und ob sie es schafft, Journalismus massentauglich zu machen. Bzw. ob WIR es schaffen – es sollte unser aller Anliegen sein, denn Demokratie funktioniert nicht ohne Qualitätsjournalismus.

 

 

 

2 Antworten zu „Wie ich zum Nachrichten-Junkie wurde & wie Qualitätsjournalismus massentauglich werden kann”.

  1. Interessante Betrachtung en nur warum ist Komplexität kein Qualitätsmerkmal? Vielleicht könnte man sagen, dass die Kunst darin besteht komplexe Inhalte einfach zu erklären?

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    1. Ja, genau so meinte ich das – dann war es einfach nur unklar formuliert. Danke für dein Feedback! 🙂

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